Mittags vor der Waldorfschule Illerblick am Unteren Kuhberg. Vor dem Schulgelände stehen zwei Jungs, vielleicht elf Jahre alt, mit ihren Smartphones in der Hand und hören Musik. „Blöd, dass man dafür jetzt raus muss“, sagt einer. Denn das gesamte Gelände inklusive Kindergarten, Pausenhof und Schulcafé ist mit Beginn des Schuljahres zur handyfreien Zone erklärt worden. Das haben Eltern, Lehrer, Erzieher und Geschäftsführer Wolfgang Hamhaber beschlossen. Das Verbot gilt für alle: Schüler, Lehrer, Eltern, Besucher. Die Entscheidung sei das Ergebnis eines langwierigen Prozesses, der sich über zwei Jahre hingezogen habe, sagt Hamhaber.
Grund für das Verbot war nicht, dass die rund 370 Waldorfschüler übermäßig an ihren Mobilfunkgeräten hingen. Vielmehr hat sich die Schule im Unterricht und auf Elternabenden mit dem Thema Handy auseinander gesetzt. Auch Vorträge von Experten gehörten dazu, berichtet Viola Biermann, Mutter von vier Kindern und für die Öffentlichkeitsarbeit der Schule zuständig.  Ihre Beobachtung: Die wenigsten Kinder nutzten ihr Mobiltelefon für notwendige Anrufe, sondern hauptsächlich zu Unterhaltungszwecken: Musik hören, Internet, soziale Medien wie Facebook und What’s App.
Hamhaber ist überzeugt, dass eine sinnvolle Smartphone-Nutzung erst ab dem 14. Lebensjahr möglich ist. Acht- oder Neunjährige damit Unterrichtsstoff recherchieren lassen? „Es braucht einen Menschen, um sich ein Bild von der Welt zu machen“, sagt der Geschäftsführer.

Protest bleibt aus

Schon in der Vergangenheit haben die Pädagogen am Illerblick immer wieder versucht,  die Handynutzung einzudämmen, berichtet Biermann. Eine Lehrerin habe Strichlisten geführt, eine andere vor Unterrichtsbeginn alle Geräte eingesammelt. „Aber das war zu kompliziert.“ Deshalb nun die Idee einer einheitlichen und vergleichsweise radikalen Regelung. „Wir sind eine freie Schule, alle konnte mitreden“, beschreibt Hamhaber die zurückliegenden Diskussionen. Geeinigt habe man sich auf die handyfreie Schule.  „Das ist konsequent, gerade als Waldorfschule können wir deutlich Position beziehen“, sagt Biermann.
Die Reaktionen sind unterschiedlich. „Manche Schüler reagieren verschnupft“, sagt Hamhaber. Größerer Protest sei aber ausgeblieben. „Vielleicht liegt es mit daran, dass wir einen guten Draht zu unseren Schülern haben.“
Ortsbesuch: Am vergangenen Donnerstag ist das „Café Fortuna“ gut besucht. Die Schulmensa steht auch Gästen offen, die nun ebenfalls nicht mehr dort telefonieren dürfen. Laut Biermann reagieren sie verständnisvoll. Ein Neuntklässler findet die Regelung dagegen „unnötig“. Sein Name soll nicht in Zeitung stehen. Aber er erzählt, dass sich vor dem Verbot viele Schüler im Café getroffen haben, die Handys lagen stets griffbereit. Nun gehen viele seiner Kumpels eben zum nahe gelegenen Supermarkt – vor allem, um auf dem Weg dorthin das Handy zu nutzen.
„Super-Erziehungsmaßnahme“
„Die Cafeteria macht seither  weniger Umsatz“, sagt eine Mutter, die dort ehrenamtlich mitarbeitet. Viele Schüler versorgten sich jetzt eben woanders mit Essen. Sie findet die handyfreie Zone gut, nicht aber den Effekt, dass sich Schüler nun anderswo herumdrücken, um ihr Smartphone zu nutzen, wie sie beobachtet hat. Der Neuntklässler wiederum beklagt, dass Lehrer die Handys wegsperren können, wenn ein Schüler damit gesehen wird. „Dann muss man mit dem Klassenbetreuer und den Eltern einen Termin ausmachen, um es wieder abzuholen. Das kann dauern.“ Hamhaber verteidigt die Sanktionen: „Eltern erwarten von uns, dass wir das Verbot auch konsequent umsetzen.“
Anna Weidenbach, Mutter von zwei Schulkindern, nennt das Verbot „eine Super-Erziehungsmaßnahme für uns Eltern“. Denn auch viele Erwachsenen hingen schließlich ständig am Handy. Sie selbst schaltet ihres nun aus, bevor sie ihre Kinder abholt. „Ich genieße die Zeit ohne ständiges Klingeln.“ Auf die Frage, ob sie sich ein Handy wünsche, antwortet ihre zehnjährige Tochter. „Ich will lieber ein Pony.“
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Umfrage unter Schülern
Viele Schüler haben eine klare Meinung zum Handyverbot auf dem Schulgelände: völlig überzogen.

„Nutzung von Smartphone geht  mit ADHS-Erkrankung einher“

Christian Montag (40), Psychologieprofessor an der Uni Ulm, befasst sich mit Auswirkungen der Mobiltelefone aufs Gehirn.
Ein Handyverbot an der Schule –  weltfremd oder überfällig?
Ich habe es nicht so mit Verboten, aber der Grundgedanke ist richtig. Ein Smartphone lenkt massiv ab. Wir müssen heute Begegnungsstätten gestalten, wo die Technologie im Hintergrund rückt. Die Schule bietet sich dafür an.
Kinder sollen einen kompetenten Umgang mit Medien gelehrt bekommen. Wie sieht der aus?
Ein Fach wie Mathe führt meines Erachtens am Ziel vorbei. Kinder gucken sich Dinge ab. Wo Eltern das Gerät am Start haben, machen es Kinder nach. Ab einem gewissen Alter können Kinder behutsam an die Technologie herangeführt werden. Eltern sollten sich für die Inhalte interessieren, die Kinder nutzen, und sich darüber mit ihnen austauschen. Die Schule sollte auch begleiten.
Wie alt sollten Kinder sein, wenn sie ein Handy bekommen?
Das ist schwer zu sagen, weil es dazu keine Studien gibt. Nachgewiesen ist bei Studien mit jungen Erwachsenen, die das Smartphone intensiv nutzen, dass sie sozial ängstlicher werden und sogar ihre mathematischen Fähigkeiten abnehmen. Die Nutzung der Technologie geht mit ADHS-Erkrankungen einher. Den Daumen auf dem Smartphone zu führen schult keine soziale Kompetenz. Kinder sollen körperlich betont spielen. Raufen und toben, das schult das Hirn.